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Menschenrechte in der Schweiz
Die Menschenrechte werden in der Schweiz durch die Bundesverfassung, die Kantonsverfassungen und die von der Schweiz ratifizierten internationalen Verträge geschützt. Obwohl die Menschenrechtsbilanz der Schweiz im internationalen Vergleich positiv ausfällt, wird die Schweiz regelmässig von internationalen Gremien kritisiert und hat einige wichtige Menschenrechtsverträge noch nicht ratifiziert.
Die Grundrechte in der Bundesverfassung
Dass die Schweiz über einen eigenen Grundrechtekatalog verfügt, ist eine relativ neue Entwicklung. Erst mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1999 entstand der Grundrechtskatalog in seiner heutigen Form. Zuvor waren viele Grundrechte nur vom Bundesgericht als ungeschriebene Grundrechte anerkannt worden oder ergaben sich aus Kantonsverfassungen.
✔ Heute stehen alle wichtigen Freiheitsrechte in der Bundesverfassung unter dem Kapitel "Grundrechte". Sie sind auch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert. Die politischen Rechte finden sich im Kapitel «Bürgerrechte und politische Rechte».
✔ Die Sozialrechte jedoch, wie sie die Schweiz mit der Ratifizierung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 (UNO-Pakt I) anerkannt hat, finden sich in der Bundesverfassung typischerweise nur als «Sozialziele». Gemäss der Vorstellung des Verfassungsgebers handelt es sich nicht um eigentliche Rechte, die von Menschen im Einzelfall eingefordert werden können. Vor dem Hintergrund der internationalen Verpflichtungen der Schweiz ist diese Haltung problematisch.
Geltung der internationalen Menschenrechtsabkommen
Den internationalen Menschenrechtsverträgen der UNO und des Europarates ist die Schweiz erst verhältnismässig spät beigetreten. Im Jahr 1974 hat sie als damals letzter Mitgliedsstaat des Europarates die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifiziert.
Der Durchbruch für die Menschenrechtsinstrumente der UNO in der Schweiz erfolgte in den 1990er Jahren: Im Jahr 1992 trat die Schweiz den UNO-Pakten I und II von 1966 bei; 1994 folgte der Beitritt zur Antirassismuskonvention von 1965 und 1997 schliesslich der Beitritt zur Frauenrechtskonvention von 1979. Bis heute hat die Schweiz jedoch verschiedene bedeutende Abkommen nicht ratifiziert, etwa die Europäische Sozialcharta oder die Konvention zum Schutz aller Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter und ihrer Familien.
Internationale Menschenrechte in der Schweizer Rechtsordnung
Es gibt grundsätzlich zwei Modelle, wie internationales Recht innerhalb eines Staates Wirkung entfaltet. Entweder geht ein Staat von zwei getrennten Rechtsordnungen aus – dem internationalen Recht und dem Landesrecht – und übersetzt die Verpflichtungen aus der internationalen Rechtsordnung in die nationale Rechtsordnung. Dieses System nennt man Dualismus weil zwei Rechtsordnungen nebeneinander bestehen. In der zweiten Variante bilden das internationale Recht und das Landesrecht eine einzige Rechtsordnung. Das internationales Recht kann direkt im Landesrecht wirken, sobald es in Kraft tritt. Dieses System nennt man Monismus. Die Schweiz folgt diesem zweiten System. Es ist also möglich, sich vor einem Schweizer Gericht direkt auf Menschenrechtsverträge zu berufen, um die in ihnen enthaltene Ansprüche geltend zu machen.
Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob internationale Verpflichtungen so konkret sind, dass sie sich direkt – ohne im Gesetz oder in Verordnungen weiter konkretisiert werden zu müssen – auf den Einzelfall anwenden lassen. Ist dies der Fall, ist eine Norm «self-executing», also selbstvollstreckend. Ob eine Norm selbstvollstreckend ist, ergibt sich aus der Praxis der Gerichte. Für unterschiedliche Normen innerhalb desselben Vertrages kann dabei unterschiedliches gelten. Manche sind selbstvollstreckend, manche nicht. Für die Menschenrechte ist dies eine besonders relevante Frage, denn diese müssen vom einzelnen Menschen eingefordert werden können. Für bürgerliche und politische Rechte gilt denn auch grundsätzlich, dass sie «self executing» sind. Man kann sich also etwa vor Gericht direkt auf diese berufen. Hingegen akzeptiert das Schweizerische Bundesgericht den «self-executing»-Charakter von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten in der Regel nicht. So wurde beispielsweise die individuelle Einklagbarkeit von Art. 13 Abs. 2 lit. c des Sozialpaktes verneint, der eine allmähliche Einführung eines unentgeltlichen Hochschulunterrichtes vorsieht. Konkret heisst dies, dass das Bundesgericht Klagen gegen die Erhöhung von Studiengebühren bis jetzt jeweils abgewiesen hat.
Ratifikationspraxis
Die Schweiz ist im internationalen Vergleich zurückhaltend in der Ratifizierung internationaler Abkommenzum Schutz der Menschenrechte. Nur wenn sie die vertraglich vereinbarten Verpflichtungen auch tatsächlich zu garantieren vermag, fasst die Schweiz eine Ratifikation ins Auge.
Falls eine Anpassung des Landesrechts politisch nicht durchsetzbar ist, bringt die Schweiz in der Regel sogenannte Vorbehalte an. Diese schränken diejenigen Garantien der ratifizierten Abkommen ein, welche nicht mit der schweizerischen Gesetzgebung zu vereinbaren sind. Durch das Anbringen von Vorbehalten kann ein Staat also einem Menschenrechtsabkommen beitreten, ohne alle darin enthaltenen Rechte vollumfänglich anzuerkennen. Im Vergleich zu anderen Ländern hat die Schweiz wegen ihrer strengen Ratifikationspraxis relativ viele solche Vorbehalte formuliert, was die internationalen Garantien in der Tendenz schwächt.
Schutz der Menschenrechte im föderalistischen System
Die Bundesverfassung ist nicht die einzige Rechtsquelle in der Schweiz, welche einen Grundrechtskatalog enthält. Jeder Kanton besitzt eine eigene Verfassung, welche meist mit einem eigenen Grundrechtskatalog ausgestattet ist. Während die Bundesverfassung zum Schutz der Grundrechte lediglich den Mindeststandard etabliert, steht es den Kantonen frei, ihren Grundrechtsschutz weiter auszubauen.
In der Praxis leisten die Kantone oft Pionierarbeit zur Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes in der Schweiz. So können kantonale Grundrechte und die dazugehörige Rechtsprechung die Debatte auf nationaler Ebene befeuern und den Grundrechtsschutz gesamtschweizerisch mitgestalten. Etwa nahmen die Kantone in der Debatte um das Frauenstimmrecht eine Vorreiterrolle ein. Bevor die Frauen auf Bundesebene abstimmen und wählen durften, hatten etliche Kantone mit der vorzeitigen Einführung kantonaler Stimm- und Wahlrechte die Gleichstellungsdebatte beschleunigt.
Menschenrechtsbilanz der Schweiz
Die Menschenrechtsbilanz der Schweiz ist im internationalen Vergleich relativ positiv. Doch die Menschenrechte sind eine permanente Aufgabe, die auch für die Schweiz nicht abgeschlossen ist. So zeigen Staatenberichtsverfahren vor internationalen und Europäischen Gremien immer wieder systematische Schwachstellen im schweizerischen Menschenrechtsschutz auf.
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